Navigation zeigt den Weg – Sicherheit und Vorhersagbarkeit in der modernen Implantologie Dr. Kleanthis Manolakis July 8, 2015

Navigation zeigt den Weg – Sicherheit und Vorhersagbarkeit in der modernen Implantologie

Einleitung

Mit steigendem Durchschnittsalter der Patienten ist der Zahnarzt immer häufiger mit der Herausforderung konfrontiert, zahnlose Kiefer zu versorgen. Dabei sind immer weniger Patienten mit einer klassischen Totalprothese zufrieden. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kaufunktion, soziales Verhalten und insgesamt die Lebensqualität von zahnlosen Patienten mit Totalprothesen signifikant eingeschränkt sind. Der Wunsch nach einer verbesserten Funktion und Ästhetik von Zahnersatz führt zu einer steigenden Nachfrage implantatgetragener Versorgungen. In der Vergangenheit wurde die Mindestanzahl an Implantaten für eine festsitzende Brücke im zahnlosen Kiefer kontrovers diskutiert. Mittlerweile belegen mehrere Langzeitstudien eine Überlebensrate von über 97 Prozent für Implantate und Restaurationen im All-on-4-Konzept, das heißt bei Verwendung von vier Implantaten pro Kiefer (Malo et al. 2012, Hinze et al. 2010). Patienten, deren Restbezahnung nicht mehr erhaltungswürdig ist und die daher kurz vor der Zahnlosigkeit stehen, schätzen ganz besonders den Vorteil, sofort nach dem chirurgischen Eingriff eine festsitzende Versorgung zu erhalten. Dennoch ist eine Behandlung im Sinne einer Sofortversorgung am Tag der Implantation nach wie vor eine große Herausforderung für das gesamte Team.
Fallbericht
Mit der vorliegenden Fallbeschreibung einer 58-jährigen Patientin möchten wir insbesondere die Aspekte beleuchten, die zu einer sicheren und vorhersagbaren Therapie führen. Die Patientin stellte sich vor mit einer verkürzten Zahnreihe im Unterkiefer und dem aus endodontischer Ursache nicht erhaltungswürdigen Zahn 33. Als Alternativen zur Sanierung des Unterkiefers wurden eine Teleskopprothese, eine implantatgetragene Hybrid-Prothese sowie eine implantatgetragene Brücke mit ihr besprochen. Nachdem die Patientin über Jahre eine Modellgussprothese getragen hatte, äußerte sie den starken Wunsch nach einer festsitzenden Versorgung.
Anamnese: Die allgemeinmedizinische Anamnese der Patientin war unauffällig. Sie stand nicht unter einer medikamentösen Behandlung und war Nichtraucherin. Sie hatte Angst vor der Behandlung und wollte sich aus diesem Grund unter Sedierung operieren lassen. Der erste wesentliche Schritt des All-on-4-Konzepts ist die sorgfältige Diagnose und Planung der Behandlung. Es muss im Voraus entschieden werden, ob das Okklusionsschema, die Zahnstel- lung oder die vertikale Dimension geändert werden müssen. Eine besondere Schwierigkeit stellt oft die Restbezahnung dar, da in manchen Fällen die neue okklusale Situation vor der Chirurgie gar nicht ausprobiert werden kann.
Planung: Bei der funktionellen und ästhetischen Diagnostik der Patientin hat sich herausgestellt, dass eine Bisserhöhung von 2 mm im Bereich der Schneidezähne nötig war. Im Artikulator erfolgte dann ein volles Set-up für den Unterkiefer und ein Wax-up für den Oberkiefer, der später auch neu versorgt werden sollte. Auf der Grundlage dieses Modells wurde dann eine Röntgenschablone aus röntgenopakem Kunststoff hergestellt, die von der Patientin während der DVT- Untersuchung getragen wurde. Im Anschluss wurden die Röntgenbilder in einem speziellen Programm (Simplant, Materialise Dental) am Computer ausgewertet. Das Besondere bei dieser Methode ist die gleichzeitige Darstellung des vorhandenen Knochens und der geplanten Zahnpositionierung. Nur so kann eine effektive und genaue Planung der Implantatpositionen gemacht werden. Alle Richtlinien zur korrekten Positionierung sollen berücksichtigt werden (Buser et al. 2004, Hämmerle et al. 2004). Gleichzeitig soll jedes Implantat möglichst unter einem korrespondierenden Zahn stehen, und bei einer verschraubten Versorgung soll das Austrittsloch für die Schraube auf der Kaufläche der Seitenzähne sowie lingual der Inzisalkante der Frontzähne liegen. Damit ermöglicht man eine bessere Ästhetik und Hygienefähigkeit sowie funktional eine gleichmäßige Verteilung der Kräfte.
Im Rahmen des All-on-4-Konzepts weisen die distalen Implantate eine Angulation von 30 Grad auf, um wesentliche anatomische Strukturen wie das Foramen mentale bzw. den Nervus mandibularis oder die Kieferhöhle nicht zu verletzen und gleichzeitig die Anzahl der Anhänger bei der prothetischen Versorgung zu reduzieren. Bei solch einer hohen Angulation ist die Positionierung des Implantates aus prothetischer Sicht ohne vorherige Planung sehr schwierig zu steuern. Moderne Programme zur Implantatplanung ermöglichen es, Winkel zu messen, angulierte Abutments zu simulieren und sogar über 3D-Darstellungen das Gesamtergebnis darzustellen und die Einschubrichtung einer großen Brücke zu prüfen. Es ist nun sehr wichtig, diese Planung mit großer Genauigkeit intraoperativ umzusetzen. Dazu gibt es die Möglichkeit, über das Implantat-Planungsprogramm eine Bohrschablone herstellen zu lassen. Die Verwendung einer OP-Schablone erhöht die Genauigkeit der Bohrungen (Brief et al. 2005, Kramer et al. 2005); sie soll aber die entsprechend nötige chirurgische Erfahrung des Behandlers nicht ersetzen!
Im vorliegenden Fall wurde eine knochengestützte Schablone zusammen mit einem speziellen Implantat-Bohrer-Set (Navigator, BIOMET 3i, München) verwendet. Die Hülsen in der OP-Schablone sind auf die speziellen Bohrer abgestimmt, und so können die Positionierung, die Achse und die Länge der Bohrung genau gesteuert werden. Das erhöht den Komfort für den Behandler und reduziert die Gesamtdauer der Behandlung.
Chirurgische Behandlung: Nach Verabreichung der Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und des N. buccalis unter Analgosedierung wurden zuerst die restlichen Zähne des Unterkiefers (33, 31, 41, 42, 43) extrahiert. Die Alveolen wurden mit einem scharfen Löffel gesäubert. Ein Lappen wurde von Regio 36 bis Regio 46 präpariert. Es wurde dabei darauf geachtet, dass die knochengestützte Schablone passiv auf dem knöchernen Alveolarfortsatz sitzt. Die Implantatbett-Präparation erfolgte nach der vom Hersteller empfohlenen Sequenz. Da die Schablone auch die Tiefe kontrolliert, wird jeder Bohrer bei ausreichender Kühlung bis zum Anschlag versenkt.
Ein weiterer wesentlicher Punkt des All-on-4-Konzepts ist eine hohe initiale Primärstabilität der Implantate (Javed et al. 2013). Ein Drehmoment von mindestens 35 Ncm sollte erreicht werden, wenn Implantate sofort belastet werden sollen (Neugebauer et al. 2006). Bei Verwendung einer OP-Schablone mit vorbestimmter Richtung und Länge kann sich der Behandler während der OP leichter auf die Knochenqualität konzentrieren. Dabei muss der Chirurg oft die Bohrsequenz adaptieren und vom empfohlenen Protokoll abweichen, insbesondere bei weichem Knochen, vor allem im Oberkiefer. In diesem Fall war das jedoch nicht nötig.
Die gesetzten Implantate (BIOMET 3i, München) sind wurzelförmig und verfügen über grobe und feine Mikrorauigkeiten der Oberfläche. Die spezielle Geometrie fördert eine gute Primärstabilität, erfordert aber auch eine hohe Präzision in Bezug auf die Bohrtiefe. Alle vier Implantate wurden mit einem Drehmoment von über 40 Ncm gesetzt, sodass sie sofort prothetisch versorgt werden konnten. Die speziellen Abutments für das All-on-4-Protokoll bewirken eine Winkelkorrektur von 30 Grad für die posterioren Implantate und erlauben eine gemeinsame Einschubrichtung mit den gerade gesetzten anterioren Implantaten für die spätere Versorgung. Sie wurden definitiv eingesetzt und mit dem Drehmomentschlüssel laut Herstellerangaben auf 20 Ncm festgezogen.
Die Abformung erfolgte nun nicht mehr wie üblich auf Implantatniveau, sondern auf Abutmentniveau. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Abformung der stark abgewinkelten distalen Implantate ist damit einfacher und die Abutments müssen nach dem One-Abutment-One-Time-Konzept (Degidi et al. 2011) nicht wieder entfernt und wieder befestigt werden. Für die Abformung wurden spezielle Abformkappen auf die Abutments geschraubt und erst dann konnte die Gingiva vernäht werden. Auf diese Art und Weise hat man eine optische Kontrolle, ob die Abdruckpfosten richtig sitzen und man verhindert gleichzeitig, dass Abdruckmaterial den Knochen erreicht. Als Nahtmaterial wurde PTFE 4/0 verwendet (Profimed, Medipac, Kilkis, Griechenland). Nach erfolgter Abformung wurden Gingivaformer auf den Abutments verschraubt.
Provisorische Versorgung: Zur Kieferrelationsbestimmung hat der Zahntechniker vor dem chirurgischen Eingriff am Artikulator einen speziellen Index aus transparentem Kunststoff hergestellt. Dieser Index bewirkt eine Verschlüsselung der Kauflächen der Oberkieferzähne und Gaumen mit den retromolaren Regionen des Unterkiefers, der einzigen anatomischen Struktur des Alveolarfortsatzes, die nach der Chirurgie intakt geblieben ist. Somit kann die im Voraus geplante vertikale Dimension klinisch übertragen werden. Der Index wird im Mund eingesetzt, und es wird sichergestellt, dass kein Kontakt zwischen Silikon und Gingivaformer besteht; falls nötig wird der Index leicht getrimmt. Dann wird das Material für das Bissregistrat zwischen Index und Gingivaformer eingespritzt.
Der Zahntechniker bekommt ein zweites Set von Gingivaformern, die auf dem Arbeitsmodell eingeschraubt werden, und kann damit das Modell einartikulieren. Im vorliegenden Fall konnte, wie bereits erwähnt, die erhöhte vertikale Dimension nicht im Voraus getestet werden. Aus diesem Grund wurde das Sofortprovisorium in der vorhandenen Bisshöhe hergestellt. Später konnte dann die Bisserhöhung getestet und bei der definitiven Versorgung umgesetzt werden. Ein anderer kritischer Punkt dieser Behandlung ist die Sicherstellung des spannungsfreien Sitzes der provisorischen Versorgung. Das ist bei allen Konstruktionen wichtig, fällt aber bei der Sofortversorgung besonders ins Gewicht, da die Implantate in der Osseointegrationsphase sehr empfindlich gegenüber übermäßigen Kräften und Spannungen sind.
Bei der Herstellung der provisorischen Versorgung können Ungenauigkeiten oder Blutkontamination der Abformung genauso wie die Polymerisationsschrumpfung des Autopolymerisats zu einer unzureichenden Passung führen. Um dem entgegenzuwirken, wird während der Anfertigung des drahtverstärkten Kunststoff-Sofortprovisoriums nur ein Titanzylinder in der Brücke einpolymerisiert. Die restlichen drei werden im Mund eingegliedert. Das gewährleistet den passiven Sitz der Versorgung. Beim Provisorium gibt es keine distalen Anhänger.
Zweite Behandlungsphase: Die zweite Phase der Behandlung kann frühestens zwei Monate nach der OP bzw nach Abschluss der Osseointegration eingeleitet werden. Die Patientin jedoch wünschte sich einen größeren Heilungszeitraum, sodass die definitive Versorgung auf ihren Wunsch hin erst zwei Jahre nach der Implantation erfolgte. Gleichzeitig wurde der Oberkiefer prothetisch versorgt. Das ermöglichte ein neues Ausrichten der Kauebene, die vorher nach posterior gekippt war. Die neue vertikale Dimension wurde getestet, indem mit Kunststoff die Okklusalflächen der Kunststoff zähne im Unterkiefer aufgebaut wurden. Nach einer Tragezeit von zwei Monaten ohne Beschwerden konnten die definitiven Versorgungen angefertigt werden.
Definitive Versorgung: Im Oberkiefer wurden die implantatgetragenen Brücken im Seitenzahnbereich erneuert und die Frontzähne überkront. Die Arbeiten wurden in Metallkeramik hergestellt. Im Unterkiefer war die Therapie der Wahl ein gegossenes NEM-Metallgerüst, verblendet mit vorgefertigten Kunststoffzähnen (Merz Dental, Lütjenburg) und rosa Kunststoff. Diese Therapie stellt eine ökonomische Lösung dar, die gleichzeitig viele Vorteile mit sich bringt. Es ist selbstverständlich, dass Kunststoffzähne gegenüber Keramik einen höheren Abrieb aufweisen. In der neueren Generation von verstärkten Kunststoffzähnen ist dieser Abrieb jedoch viel geringer als früher. Auf lange Sicht betrachtet kann diese Abnutzung beim alternden Patienten, der in der Regel ungern nachts eine Schiene trägt, als Vorteil betrachtet werden, denn sie verhindert das Abplatzen der Keramik. Sollten bei den Kunststoffzähnen Komplikationen vorkommen, so sind sie sehr schnell und einfach zu reparieren.
Die Wahl eines gegossenen NEM-Gerüstes hat den Nachteil einer höheren Wahrscheinlichkeit von Verstrebung oder Deformation mit Auswirkung auf die Passgenauigkeit. Aus diesem Grund wurden vorgefertigte Titanzylinder als Sekundärteile verwendet. Nur ein Zylinder wurde beim Gerüstguss angegossen. Die restlichen drei Zylinder wurden, wie beim Provisorium, intraoral mit einem Komposit-Zement (PANAVIA F 2.0, Kuraray) ins Gerüst eingefügt. Als ergänzende Sicherheitsmaßnahme wurden bei der Abformung mit einem individuellen Löffel die Abdruckpfosten miteinander verbunden. Bei der definitiven Versorgung gibt es jeweils einen Molaren als distalen Anhänger.
Nachsorge: Ein wesentlicher Nachteil der All-on-4-Versorgungen ist die für den Patienten erschwerte Hygiene. Die Grenze der Versorgung liegt tief in der Umschlagfalte und ist mit den gängigen Reinigungs- instrumenten daher nicht leicht zu erreichen. Die Verwendung einer Munddusche ergänzend zur Zahnbürste hat sich als sehr effektiv erwiesen. Ein striktes Recall-Programm ist aus diesem Grund sehr wichtig. Dabei empfiehlt es sich, die Versorgung zu entfernen und die Basis erneut zu polieren. So hat man auch eine bessere Übersicht über den Zustand von Gingiva und Implantaten. Bereits vor dem Entschluss zu einer All-on-4-Versorgung sollte mit dem Patienten die notwendige Compliance besprochen und im Zweifel eine alternative Behandlung in Erwägung gezogen werden.
Zusammenfassung
Das All-on-4-Konzept in Zusammenhang mit genauer präoperativer Diagnostik und Verwendung einer chirurgischen Schablone stellt eine minimalinvasive Implantatbehandlung dar. Ein hoher postoperativer Komfort für den Patienten wird gewährleistet, indem augmentative Verfahren vermieden werden und der Patient am Tag der Chirurgie mit einer festsitzenden Brücke versorgt wird. Sollten biologische Komplikationen langfristig auftreten, so hat man die Möglichkeit, weitere Implantate zu setzen. Prothetische Komplikationen können nach dem hier vorgestellten Konzept schnell und preiswert beseitigt werden.

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